Kulturvermittlung mal anders

Veröffentlicht auf von Anorak

Eigentlich wollte ich nur ein paar Sachen zu Essen kaufen. Nicht mal 300 Meter von meiner Wohnung befindet sich das Einkaufzentrum „Grinwitsch“ oder so ähnlich. Also mache ich mich auf den Weg. Übrigens war mein vorheriger Beutezug im Praktik-Baumarkt am Vormittag erfolgreich. Ich gehöre jetzt zum auserlesenen Kreis der Klobrillenbesitzer. Ich bin so stolz darauf, dass ich mich danach gleich mit Klobrille fotografieren musste – nur als Beweis und nicht in Aktion, versteht sich.

Im Einkaufszentrum gibt es unten einen riesigen Elektromarkt, einen Supermakt im Erdgeschoss, mehrere Nobelboutiquen in der ersten bis dritten Stock und ein Kino in der obersten Etage. „Fast wie bei uns“ denke ich mir. „Darüber könnte ich doch mal was in meinem Blog schreiben“. Ganz oben sitzen Russen paarweise auf der Sonnenterasse des kleinen SB-Restaurants. Ich setze mich dazu und blicke über die Brüstung auf das Meer aus unsanierten Plattenbauten.

Auf dem Weg nach unten zücke ich die Kamera und fotografiere die glitzernde Shoppingwelt auf 4 Etagen. Die Geschäfte sind sehr stilvoll eingerichtet, aber fast menschenleer. Als ich die unterste Rolltreppe verlasse und in den Supermarkt einbiegen will, packt mich auf einmal eine Hand an der Schulter. Ich drehe mich um und blicke in die ausdruckslosen Augen zweier Uniformierter. Ich erkenne sofort, dass es keine Polizisten sind. Gleichzeitig bin ich froh, dass ich seit einem Tag offiziell in Kemerowo registriert bin und auch endlich meinen Pass zurück habe.

„Sie wissen, dass Beweisfotosie hier nicht fotografieren dürfen“ fragt mich der eine und schaut mich dabei finster an. Ich bin etwas perplex und sage: „Entschuldigung. Ich bin Tourist.“ – Na klar, als ob ich in meinem Urlaub nichts Besseres zu tun habe, als alleine in einem sibirischen Einkaufszentrum am Stadtrand Rolltreppen zu fotografieren. Ich zeige ihnen meine Kamera und die Bilder, die ich im Gebäude gemacht habe. Dann muss ich sie löschen. Als Beweis schalte ich durch meine gespeicherten Bilder und siehe da! Ich, mit Klobrille in der Hand, grinsend in meinem Wohnheimzimmer! Die Wachleute mustern mich beide erstaunt und mir fällt daraufhin nichts Geistreicheres ein, als mich Schulter zuckend mit "Ich bin Deutscher“ zu rechtfertigen. Wenn böse kucken nicht zu ihrem Beruf gehören würde, hätten sie gelacht. Sie wünschen mir aber einen angenehmen Einkauf und lassen mich gehen.

Meine erste Amtshandlung als deutscher Kulturmittler in Kemerowo fand somit in einem Einkaufszentrum statt. Ich kann nur hoffen, dass das Deutschlandbild der Russen hier durch mich keinen Schaden nimmt.

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V
Gibt es bei "Praktik" nun 20% auf alles (evtl. sogar auch auf Tiernahurung) oder nicht?<br /> <br /> Dein Block ist echt toll und hält mich erfolgreich davon ab meine Hausi zu schreiben!
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S
VIELEN DANK FÜR EURE ZAHLREICHEN KOMMENTARE! ICH FREUE MICH!
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E
Hallo Sebastian,<br /> Du bist ganz tapfer und wirst es auch in Sibirien schaffen:) Wuensche Dir noch viel Spass und Erfolg in dem fernen Land.<br /> LG aus Mostar
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K
hallo sebastian, anja hat mich gestern auf deinen blog aufmerksam gemacht und da musste ich natürlich gleich mal vorbei schauen. spannende sache, die du da vorhast, halte uns auf dem laufenden wie es dir weiterhin so ergeht! liebe grüße, konny
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D
deine neue brille steht dir :)
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